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Welche Bedeutung haben Gott und die Kirche noch in unserer modernen, schnelllebigen Zeit? Das ist eine der Fragen, die wir der Theologin Margot Käßmann gestellt haben, die bis zu ihrem Ruhestand eine der prägenden Persönlichkeiten in der Evangelischen Kirche (EKD) war. Unter anderem war die vierfache Mutter langjährige Bischöfin der Evangelischen Landeskirche Hannover und Ratsvorsitzende der EKD.

“Folge dem, was Dein Herz Dir rät” lautet der Titel Ihrer Biografie. Wie hat dieses Motto Ihr Leben geprägt?

Margot Käßmann: Mir ist im Rückblick klar, dass es stets am Besten war, nicht auf all die Stimmen zu hören, die dich bedrängen, beeinflussen, es durchaus auch gut meinen, sondern sich zurückzuziehen, Stille zu suchen und erst dann zu entscheiden. Dann konnte ich mit den Entscheidungen auch gut leben.

Wie hat Ihnen der Glaube in Lebenskrisen Trost und Bestärkung geschenkt?

Margot Käßmann: Für mich ist wichtig, dass der christliche Glaube Leid nicht ausspart. Jesus hat selbst gelitten, ist gestorben. Deshalb kann ich mich in den schweren Zeiten an ihn wenden im Gebet, kann Gott vertrauen im Leben, im Sterben und darüber hinaus. Die biblischen Texte halten mich dabei, denn sie sind älter und tiefer als manche aktuelle Betroffenheitsbekundung. Ich denke allein an die Psalmen.

Der christiche Glaube spielt im Leben von Margot Käßmann nach wie vor eine große Rolle. Bildquelle: © Julia Baumgart Photography
Der christiche Glaube spielt im Leben von Margot Käßmann nach wie vor eine große Rolle. Bildquelle: © Julia Baumgart Photography

Hat sich Ihre Sicht auf den christlichen Glauben im Laufe der Jahre verändert?

Margot Käßmann: Der eigene Glaube verändert sich ja im Leben. Ein Kind glaubt oft an Gott, der ihn beschützt. Heute sehe ich Gott oft als Freundin, die mich begleitet, als Geistkraft, die mich stärkt. Mir ist wichtig, dass Martin Luther uns ermutigt hat, selbst zu denken, Fragen zu stellen, Zweifel zuzulassen. Das macht für mich lebendigen Glauben aus.

Welche Bedeutung hat er in unserer modernen, von radikalen Umbrüchen geprägten Welt?

Margot Käßmann: Christlicher Glaube kann Halt und Haltung geben, denke ich. All das Getöse um Zuwanderung beispielsweise: Wir sehen uns als Gemeinschaft über kulturelle und nationale Grenzen hinweg. Und es heißt: Selig sind die Frieden stiften. Bittet für die, die euch verfolgen. Das ist ein Kontrastprogramm gegen den Hass und die Hetze unserer Tage.

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Viele Menschen treten aus der Kirche aus. Was glauben Sie, wie sich die Kirche verändern muss, um für die Menschen attraktiv und sinnstiftend zu sein?

Margot Käßmann: Ich wünsche mir sehr, dass Gottesdienste so sind, dass Menschen eine Sehnsucht danach haben. Nach diesen Orten, die Ruhe vermitteln in lauter Zeit, die entschleunigen, uns die Gelegenheit geben, an die wesentlich Fragen zu denken, die nichts mit Geld, Gier und Konsum zu tun haben. Ja, die Kirche muss sich verändern. Aber sie ist auch kein Angebot auf dem Markt, das locken muss mit Schnäppchenangeboten.

Vor einem Jahr haben Sie sich von ihren kirchlichen Ämtern verabschiedet. Seitdem schreiben Sie vor allem Bücher. Für Kinder, über das Älterwerden und über das Enkel-Glück. Können sich Ihre Leserinnen und Leser bald auf ein neues Buch freuen? 

Margot Käßmann: Gerade habe ich ein Manuskript über Freundschaft abgegeben. Danach mache ich erst mal Pause bis auf die Kinderbuchreihe, die ich mit meiner Tochter Lea begonnen habe. Zweimal im Jahr werde ich für das Grundschulalter biblische Geschichten nacherzählen. Die Weihnachtsgeschichte ist schon gedruckt, die Ostergeschichte kommt nächstes Jahr. Mir ist so wichtig, dass Kinder etwas vom christlichen Glauben wissen.

Gemeinsam mit ihrer Tochter Julia verfasst Margot Käßmann biblische Geschichten für Kinder. Bildquelle: ©Julia Baumgart Photography
Gemeinsam mit ihrer Tochter Julia verfasst Margot Käßmann biblische Geschichten für Kinder. Bildquelle: ©Julia Baumgart Photography

In der Öffentlichkeit sind Sie mit Ihren Vorträgen und Predigten eine gefragte Rednerin. Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Margot Käßmann: Ich freue mich über die vielen Anfragen, muss aber auswählen. Wann immer es um existentielle Fragen von Leid und Sterben geht oder um die Orientierung an christlichen Werten, sage ich aber gern zu.

Als neues Projekt geben Sie monatlich die Zeitschrift “Mitten im Leben” heraus. Um welche Themen geht es darin?

Margot Käßmann: Für mich war es ein wunderbares Angebot des Herder-Verlages, so eine Zeitschrift herauszugeben. Wir legen für jeden Monat ein Thema fest: Geschwister, Flucht, Trauer, Kinder oder andere. Und dann gestalten wir sechzehn Seiten, die ich selbst schreibe mit biblischen und gesellschaftlichen Bezügen, Film- und Buchtipps, Poesie. Das macht mir richtig Spaß.

Offiziell sind Sie im Ruhestand – und immer noch viel beschäftigt. Wie und wo tanken Sie neue Kraft?

Margot Käßmann: Der christliche Glaube ist mir eine Kraftquelle. Meine Familie, Kinder, Enkel, Freundinnen und Freunde tragen mich. Und die Rückmeldungen vieler Menschen, die mir sagen, dass meine Predigten, Vorträge oder Texte ihnen gut tun, die spornen mich natürlich an. Ich bin sehr, sehr dankbar für mein Leben.

Herzlichen Dank für Ihre Antworten.

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