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Überall auf der Welt werden die Menschen immer älter, vorbei die Zeit, als nach Ausbildung, Familienzeit und Berufsleben mit 65 nur noch der Ruhestand wartete. Nach Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich bis 2050 die Zahl der Menschen in der Weltbevölkerung, die über 60 Jahre alt sind, mehr als verdoppeln. Was bedeutet das für die Menschen und die Gesellschaft? Wie sollen und wollen ältere Menschen zukünftig leben? Diese Fragen haben sich die Gründer des Familienunternehmens Vivir gestellt und das Wohnformat Vivienda entwickelt, das bislang einmalig in Deutschland ist. Eine Wohnanlage des Düsseldorfer Unternehmens in Dresden gibt es bereits. Wir haben mit der Ärztin und Mitbegründerin von Vivienda, Johanna Löffler, und der Projektleiterin Doreen Gütler über schöner Wohnen und Selbstbestimmung im Alter gesprochen.

Frau Löffler, warum braucht es ein eigenes Wohnformat für die Generation 59plus?

Johanna Löffler: Wir haben festgestellt, dass es für die Menschen ab 59plus, abgesehen von den üblichen Wohnformen wie Senioren- und Pflegeheim, eine große Lücke gibt. Unser Leben hat sich tief greifend verändert. Wir leben in einer globalisierten Welt, Familien gehen oft auseinander, Frauen ab 50 Jahre haben die Familienphase hinter sich, auch die Scheidungsrate ist hoch in diesem Alter. Die Menschen leben in ihren alten Wohnungen und Häusern, aber das frühere Leben ist perdu. Und es stellt sich die Frage: Was jetzt? Momentan verschieben die Betroffenen solange eine Entscheidung, bis es nicht mehr geht. Und dann kommt das Pflegeheim, die volkswirtschaftlich und menschlich schlechteste Lösung. Deshalb haben wir uns überlegt, wie man von unternehmerischer Seite hier eine Lösung finden kann und haben dieses Wohnprojekt entwickelt. Da steckt viel Herzblut drin, sehr viel Recherche, sehr viel Überlegung.

Viele Ideen und eine gute Planung zeichnen das Wohnkonzept von Vivienda aus. Bildquelle: © Shutterstock.com
Viele Ideen und eine gute Planung zeichnen das Wohnkonzept von Vivienda aus. Bildquelle: © Shutterstock.com

Frau Gütler, Sie wohnen bis März selbst im ersten Vivienda-Quartier in Dresden. Seit wann sind Sie als Projektleiterin dabei?

Doreen Gütler: Ich habe die Wohnanlage schon 2019 bautechnisch begleitet und dafür gesorgt, dass es nur wenige Barrieren gibt für diejenigen, die nicht mehr so mobil sind, aber genauso die Möglichkeit, Treppen zu steigen. Und seit Frühjahr 2020 gehört auch die Vermarktung zu meinen Aufgaben, ich organisiere die Vermietung und unterstütze die Bildung der Gemeinschaft vor Ort. Hinzu kommt das Finden von Kooperationspartnern, die uns hinsichtlich der Bedürfnisse der Mieter unterstützen. In erster Linie bin ich Gastgeberin, die dafür sorgt, dass Leben in die Bude kommt (lacht).

Es ist ja eine ziemlich große Anlage.

Doreen Gütler: Es gibt 52 Wohnungen unterschiedlicher Größe, von der gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung bis zur Dachgeschosswohnung mit Loftcharakter ist alles dabei. Wir haben uns im Vorfeld gefragt, welche Anreize wir schaffen müssen, damit die Menschen frühzeitig aus ihren alten Mustern ausbrechen. Wenn sie zum Beispiel allein in einem Haus im Ländlichen leben, wo die Infrastruktur fehlt oder die Kinder aus dem Haus sind und sie sich in ihrem großen Haus alleine, einsam oder einfach überfordert fühlen.

Unsere Mieter möchten vielleicht Besuch haben, also brauchen sie ein Gästezimmer und ein zweites WC. Sie brauchen Wohnkomfort und auch die Infrastruktur und Lage spielen eine große Rolle und – das ist das Wichtige für Vivienda – neue Kontakte und Gemeinschaft. Das schaffen wir mit unserem Wohnprojekt. Die Menschen leben komfortabel und können sich jederzeit in den Gemeinschaftsräumen treffen, wenn sie das möchten. Und Dresden ist eine wunderbare Stadt mit Elbflorenz, Sächsischer Schweiz, Natur und Kultur um die Ecke, perfekt für einen Neustart.

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Frau Löffler, Sie haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt, es soll ja nicht bei Dresden bleiben, sondern Sie möchten in allen großen deutschen Städten vertreten sein. Was macht Sie so sicher, dass Sie erfolgreich sein werden mit Ihrem Konzept?

Johanna Löffler: Dafür sprechen die Ergebnisse einiger Studien. Zum Beispiel die der Körber Stiftung in Hamburg, die 2019 herausgefunden hat, dass es in Deutschland 3,5 Mio. alleinstehende Frauen im Alter 50plus gibt. Eine weitere Studie der Bank für Sozialwirtschaft hat ausgerechnet, dass mindestens 300.000 altersgerechte Wohnungen pro Jahr fehlen. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass ab 2021 für die nächsten 15 Jahre jedes Jahr 1,3 Mio. Menschen in Rente gehen, dann wird deutlich, dass sich da eine große Lücke auftut. Das ist die eine Seite.

Die andere ist die, dass ich zusätzlich zu meiner Arbeit bei Vivienda durch meine ärztliche Tätigkeit auch die menschliche Seite des Alterns kenne. Daher weiß ich, dass Menschen zunehmend krank werden, wenn sie sich zu sehr abschotten. Für uns war es deshalb ganz wichtig, mit unserem Wohnkonzept den Menschen die Möglichkeit zu bieten, dreimal in der Woche Veranstaltungen besuchen können, wenn sie das möchten. Wo sie ganz zwanglos andere Leute aus dem Haus kennenlernen können. Es geht auch darum, das Bewusstsein zu schärfen, dass man für Fitness und Gesundheit im Alter etwas tun muss. Deshalb sind unsere Kernthesen: aktiv, gesund und möglichst in Wahl-Gemeinschaft alt werden.

In Altenheimen leben Menschen in einer Notgemeinschaft zusammen und können nicht selbstbestimmt entscheiden, was sie mit wem machen wollen. Deshalb glauben wir an unsere Idee.

Ein Blick auf die Vivienda Wohnalnalge in Dresden. Bildquelle: © Vivienda
Ein Blick auf die Vivienda Wohnalnalge in Dresden. Bildquelle: © Vivienda

Wie stärken Sie konkret das Bewusstsein dafür, selbst aktiv zu werden?

Doreen Gütler: Wir beschäftigen Servicemanager, die alle aus dem Gesundheitsbereich kommen und z.B. als Heilpraktiker, Yogalehrer oder Physiotherapeuten tätig sind. Der Fokus liegt auf der körperlichen Aktivität, aber unsere Service Manager sind genauso Ansprechpartner bei einem Tee oder Kaffee für andere Themen und gehen ganz individuell auf die Bedürfnisse der Mieter ein. So bilden sich Gruppen, die gemeinsame Interessen haben wie zum Beispiel einen Literaturkreis, der sich jetzt auf Initiative einer Schriftstellerin, die in unserem Wohnprojekt in Dresden lebt, alle zwei Wochen trifft. Dasselbe gilt für unsere Boules -Gruppe, die sich gegründet hat. Andere Mieter treffen sich zum Kartenspielen. Und wir unterstützen mit weiteren Angeboten wie Yoga, Pilates oder Spazierengehen, die wir auf unterschiedlichen Level anbieten, damit wirklich jede/r mitmachen kann. Dadurch entsteht ganz nebenbei ein Zusammengehörigkeitsgefühl und das stärkt den Gemeinschaftsgedanken, der uns ganz wichtig ist.

Wie viele Mieter wohnen momentan in Dresden zusammen? 

Doreen Gütler: Wir haben derzeit 85 Prozent unserer Wohnungen bereits vermietet, eingezogen sind bis heute ca. 50 Mieter.

Was sind die Beweggründe, sich für Ihr Wohnkonzept zu entscheiden?

Doreen Gütler: Einsamkeit ist für viele ein Grund, beispielsweise wenn ihre Lebenspartner nach 40 oder 50 Jahren Ehe oder Partnerschaft versterben. Da entsteht eine riesengroße Lücke, die Kinder und Freunde nicht füllen können, weil ein halbstündiges Telefonat die Einsamkeit nicht nachhaltig mindern kann. Vivienda kann mit dem Wochenprogramm das emotionale Loch zwar ebenfalls nicht schließen, aber es kann Menschen neu verbinden, damit gemeinsam mit Familie, Wochenprogramm und neuen Freundschaften das Leben wieder Freude macht.

Dann gibt es auch Paare, die ein großes Haus hatten, das sie nicht mehr bewirtschaften können oder wollen. Oft geht es um barrierefreies Wohnen und diese Paare denken schon darüber nach, was ist, wenn einer von ihnen nicht mehr da ist und den Partner in einer guten Gemeinschaft wissen wollen. Und dann gibt es noch Mieter, die vor allem die Idee der Gemeinschaft ganz großartig finden und noch während Ihrer Berufstätigkeit einziehen.

Johanna Löffler: Wir möchten niemandem vorschreiben, wie er leben soll, aber wir rollen einen Teppich von Maßnahmen aus, womit jede/r, wenn er ein bisschen Eigeninitiative mitbringt, ganz anders leben kann als vorher. Uns ist wichtig, dass die Menschen spüren, dass es ein neues Leben ist, egal wie alt sie sind. Also etwas, das eine neue Investition wert ist, sowohl emotional als auch finanziell. Das Thema Alter hat für viele den Charme eines überflüssigen Überbleibsels und das Gefühl, nicht mehr gebraucht und eingebunden zu werden, macht sich breit. Und viele Menschen haben auch Probleme zu sagen, hallo, ich bin doch auch noch da, ich möchte gerne aktiv leben.

Gibt es für Ihr Modell Vorbilder?

Johanna Löffler: Wir orientieren uns mit Vivienda an Ländern wie die USA oder Australien, wo es solche Modelle schon seit 35 Jahren gibt. Dahinter steckt die Haltung: Warum sollen wir so lange warten, bis wir ins Pflegeheim kommen?

Wir möchten so leben, wie wir wollen!

Deshalb möchten wir mit Vivienda vorleben, dass jede/r, der ein anderes Leben im Alter möchte, das auch verwirklichen kann.

Gibt es jenseits der gesellschaftlichen Notwendigkeit eine persönliche Motivation, warum Sie Vivienda gegründet haben?

Johanna Löffler: Es gibt mehrere Gründe. Wenn man unternehmerisch tätig ist, hat man Lust, Neues zu schaffen und das entspricht auch meiner Art. Hinzu kommt meine ärztliche Tätigkeit, die mir einen sehr klaren Einblick gibt, was Menschen fehlt und was sie wollen, weil ich seit vielen Jahren neben den gesundheitlichen auch über private Themen mit meinen Patienten rede. Ich habe eine 92-jährige Mutter und bei meinen Eltern konnte ich sehen, wie man es nicht machen soll. Sie kamen aus dieser Kriegsgeneration, sehr stur und zäh.

Ich habe zehn Jahre lang versucht, mit ihnen über ihre Zukunft zu reden. Das wurde immer komplett abgeblockt und jetzt haben sie die denkbar schlechteste Lösung, weil sie es so lange haben laufen lassen, bis es nicht mehr anders ging. Das tut mir als Mensch und Tochter jeden Tag weh. Und es ist für mich auch eine Art Anlass zu sagen, ich nehme dieses Wissen und versuche jetzt, es für andere Menschen anders und besser zu gestalten.

Das interessiert uns auch noch bei Ihnen, Frau Gütler. Was hat Sie persönlich motiviert, für Vivienda zu arbeiten und sogar Teil des Wohnprojekts zu sein?

Doreen Gütler: Ich finde, das Thema in Würde alt zu werden, ist auch für meine Generation wichtig. Ich bin jetzt 39 Jahre alt, in 40 Jahren bin ich 79. Dann wird die Welt ganz anders aussehen. Der Generationenvertrag funktioniert nicht mehr, das wissen wir mittlerweile alle, das ist seit Jahren bekannt. Mir war frühzeitig klar, dass wir uns dabei nicht auf den Staat verlassen können und Eigeninitiative gefragt ist. Ich komme aus der Bank- und Immobilienbranche, habe im Bereich Vermietung 6000 Wohnungen operativ betreut und schon da versucht, Quartiere zu bilden. Im Zuge einer beruflichen Neuorientierung habe ich mich gefragt, was mir wichtig ist bzw. Freude macht. Ich habe immer schon gerne und viel Sport gemacht, habe dann meine Trainer-, Mentalcoach- und Massagentherapeutenausbildung absolviert und anschließend als angestellte Leiterin im Frauenfitnessstudio gearbeitet.

Der im Wohnkomplex eingerichtete Yoga- und Fitnessraum lädt zu gemeinsamen sportlichen Veranstaltungen ein. Bildquelle: © Vivienda
Der im Wohnkomplex eingerichtete Yoga- und Fitnessraum lädt zu gemeinsamen sportlichen Veranstaltungen ein. Bildquelle: © Vivienda

Das war ja tatsächlich etwas völlig Neues.  

Doreen Gütler: Und wenn sie dann morgens die Seniorinnen sehen, die zum Fitnesskurs kommen, danach noch einen Kaffee trinken und dir im Vertrauen sagen, Mensch, weißt du eigentlich, dass ihr der einzige Grund seid, warum ich morgens aufstehe? Das war der Moment, als ich erkannt habe, dass dieses Frauenfitnessstudio ihr Lebensinhalt war, weil der Mann verstorben war und die Kinder und die Nachbarn ihr eigenes Leben leben. Dann folgt oft der Rückzug, weil sie sich nicht mehr gebraucht und gesehen fühlen, hinzukommen psychische und körperliche Probleme. Und das ist ein Konstrukt, was wir uns aus meiner Sicht gesellschaftlich nicht leisten können. Und ich habe mich gefragt, was wird denn, wenn ich mal so alt bin? Wie möchte ich im Alter leben?

Vivienda ist die perfekte Balance von Privatsphäre und Gemeinschaft, bietet ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm, aktiviert Nachbarschaften und organisiert die Unterstützung, welche ich bei Bedarf benötige. Der ambulante Pflegedienst muss nicht durch die ganze Stadt, um Einzelne zu betreuen oder vielleicht gibt es auch eine Pflegekraft, die sich mehrere Mieter teilen, ggf. auch mit eigener Wohnung im Haus. Möglichkeiten und Ideen gibt es viele. Vivienda ist dynamisch und passt sich den Gegebenheiten und Bedürfnissen an. Damit unser größter Wunsch, möglichst lange im eigenen Zuhause zu leben, in Erfüllung geht.

Das klingt nach einer guten Perspektive. Was ist Ihre Vision, Frau Löffler?

Johanna Löffler: Wir werden in den kommenden Jahren eine riesige Alterswelle erleben. Wir möchten dazu beitragen, dass diese Welle keine großen menschlichen und wirtschaftlichen Probleme auslöst. Unsere Vision ist, dass diese Welle sich in etwas Neues umwandeln wird, eine neue Art von Leben im Alter: glücklich Altern.

Dafür ist die Wohnanlage in Dresden der erste Schritt.

Welche Städte sind als Nächstes geplant?

 Johanna Löffler: In Nordrhein-Westfalen sind wir an unterschiedlichen Orten mit den entsprechenden Stadtverwaltungen in Verhandlung.

Vielen Dank für das Gespräch!

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