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Am Schauspiel Frankfurt beschwört Andreas Kriegenburg Kleists „Amphitryon“.

Von Mark Seebürger

Amphitryon - inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld
Amphitryon – inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld

Frankfurt, 09. Februar 2018.   Was für ein auf vielen Ebenen beeindruckender Theaterabend! Bereits bei der ersten gemeinsamen Verbeugung brandet den Schauspielern sofort jubelnder Applaus entgegen. Zurecht! Das sechsköpfige großartige „Amphitryon“-Ensemble des Schauspiels Frankfurt verbeugt sich tief vor einem hörbar dankbaren Publikum. Welches Kleists mächtigen Worten und der Schauspieler-Sprechkunst sowohl andächtig gelauscht als auch begeistert auf verspielten Wortwitz reagiert hatte.

Regisseur Andreas Kriegenburg und sein fantastisches Ensemble, sowie die feinsinnige, verdichtete Dramaturgie von Marion Tiedtke haben sich inszenatorisch ehrfürchtig vor Heinrich von Kleists tragikomischem Verwechslungs-Lustspiel der Identitätssuche und -findung verbeugt. Die Hauptrolle an diesem hypnotischen Abend gehört Kleists berauschend-wehmütiger Bildsprache, deren Mächtigkeit und Schönheit die Schauspieler hingebungsvoll mittels glasklarer Gedankenfolge und Artikulation heraufbeschwören. Bei so viel Wertschätzung kann man nur mit rückhaltloser Begeisterung reagieren, die sich bereits beim Pausenapplaus andeutete.

Nicht von dieser Welt

Zu Aufführungsbeginn: Dunkelheit. Lärmende Straßengeräusche (Hupen, Sirenen, vorbeirasende Autos), die jäh abbrechen. Dann Stille. Der Eiserne Vorhang enthüllt das Bühnenbild von Harald B. Thor in Form zweier identischer, längs übereinander liegenden, zum Publikum hin offenen Betonwandröhren – die vertraute Welt von Flughafenterminal-Durchgängen und (Durch-)Reisenden. Fahles Licht flackert, das ferne Echo einzeln herabfallender Tropfen ist zu hören.

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Amphitryon - inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld
Amphitryon – inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld

In diese triste Transit-Untergrund-Realität tritt unten-seitlich der Diener des siegreichen Feldherrn Amphitryon Sosias (Christoph Pütthoff) auf, im grauen Lodenmantel gekleidet, Aktentasche tragend. Leise und behutsam erklingen die ersten Worte von Kleists Sprachwelt. Sie ist nicht von dieser Welt, aber es entsteht mit ihr ein akustisches, poetisches Paralleluniversum zur optischen Alltagsrealität.

Sosias ist beauftragt, Amphitryons Gattin Alkmene die Nachricht vom Sieg über die Athener zu überbringen und ihr die baldige Heimkehr Amphitryons anzukündigen. Sosias studiert eine spektakuläre Rede ein, um Alkmene zu beeindrucken und um sich als Nichtteilnehmer des Krieges dennoch mit Lorbeeren zu schmücken. Pütthoff gibt seinen Sosias als komödiantischen, hadernden, nervösen, anmaßenden Überforderten, sogar Alkmenes mögliche Antworten imitierend. In der oberen Röhre tritt parallel Sosias’ Doppelgänger, der als Sosias verkleidete Gott Merkur (Sebastian Reiß), dagegen als weitaus selbst- und textsicherer Botschafter auf.

Zwischen ihnen entspinnt sich eine komödiantische Szene aus (a)synchronem Sprech-Spiel, bei welchem der obere Sosias die manipulative Oberhand behält. Der verkleidete Merkur steht Wache, da sein Herr, der himmlische Göttervater Jupiter (geschmeidig-bedrohlich: Fridolin Sandmeyer), in der Gestalt Amphitryons ein Schäferstündchen mit Alkmene hat und hält deswegen Sosias von seinem Auftrag ab. Als sich beide Sosias’ schließlich gegenüberstehen, beharrt Merkur-Sosias darauf, der echte Sosias zu sein. Merkur provoziert, prügelt und peinigt Sosias, so dass dieser an sich selbst zweifelt und sich eingestehen muss, dass sein Gegenüber Sosias und er selbst Nicht-Sosias ist. Von Merkurs Stromstockstößen niedergestreckt, flieht der verwirrte Sosias.

Amphitryon - inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld
Amphitryon – inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld

Als der heimkehrende Amphitryon von seiner noch berauschten Gattin Alkmene ein verwundertes „So früh zurück?!“ erfährt, entzündet sich Jupiters Intrige vergiftend in seinem Herzen und empfindet Amphitryon Alkmenes Ausruf fortan als „Wasser auf seiner Liebe Flammen“. Dieses Infragestellen der eigenen oder fremden Identität und gegenseitigen Treue, das Wankelmütige und Ungewisse, das Manipulative, das Hadern zwischen Ratio und Gefühl, die Versuche der Unterscheidung der erotischen Qualitäten des Liebhabers und der ehelichen Qualitäten des Ehepartners wird sich fortan mal heiter mal düster durch das ganze Stück ziehen und auch Amphitryon (Max Simonischek), Alkmene (Patrycia Ziolkowska) und deren Bedienstete und Sosias’ Frau Charis (Friederike Ott) befallen und umtreiben. Das ist lange Zeit äußerst spannend und unterhaltsam, auch wenn Kriegenburg das übliche rasante Lustspiel-Tempo zum Wohle der Verständlichkeit der Kleist’schen Schachtelsätze merklich gedrosselt hat.

Das bedächtige Tempo tut der Faszination der Inszenierung jedoch nichts ab. Alles ist im Fluss: Da werden Sofa, Badewanne, Reisekoffer und Stühle per Laufbänder im Dunkeln oder farbig ausgeleuchtet heran- und wieder fortgefahren, finden sich wiederholende, Ausweglosigkeit widerspiegelnde Choreografien des Stillstands und Zwanghaften statt und häufen sich die Doppelungen.

Starke Frauen, wankende Männer – voller Liebe

Amphitryon - inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld
Amphitryon – inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld

Neben Pütthoffs fahrig-verklemmtem Sosias und Reiß’ vielseitigem Merkur ist Ott als resolute, verlockende Charis die Dritte im Komiktrio. In Sachen kämpferischer Stärke und verzweifelter Erschütterung steht ihr Ziolkowskas Alkmene in nichts nach. Überhaupt sind diese beiden Figuren das Stärke-Zentrum in Kleists Stück und sind diese beiden Schauspielerinnen die treibende Kraft in Kriegenburgs LIEBE-voller Inszenierung. Kriegenburg erfindet für seine voll-von-Liebe-Inszenierung immer wieder körperbetonte, tänzerische, choreografierte Szenen und scheut weder die feine Kleist-Ironie, noch eigene derbe Kalauer („ALK-mene“).

Größtenteils lässt Kriegenburg von fern Chöre erklingen und spielt an der sich dramatisch zuspitzenden „So früh zurück?!“-Stelle das musikalische und ominöse Zupfinstrumenten-Crescendo seines 2008 verstorbenen Leib-Bühnenkomponisten Laurent Simonetti ein. Über allem schwebt Erhabenheit, Andächtigkeit und Eleganz. Max Simonischek darf spielerisch die aufkommende Verzweiflung, Eifersucht und Wut seines Amphitryons lange unterdrücken oder nur kurz aufblitzen lassen, bis alles ungehalten und lodernd aus ihm herausbricht: „Fahr hin jetzt, Mäßigung, Liebe, Erinn’rung fahrt, und Glück und Hoffnung, hin. Fortan in Wut und Rache will ich schwelgen.“

Die Gewissheit der Liebe. 

Im letzten Akt geht es dann ans Eingemachte und kippt das manipulative Spiel von Jupiter und Merkur urplötzlich ins Brutale: Da werden die aufbegehrenden Geschundenen von den frustrierten, egomanischen Göttern an die Betonwände der Röhren geschleudert und von ihren jeweiligen echten Ehepartnern zu verscheuchen versucht. Da aber Jupiter erkennen muss, dass seine göttliche Macht der Gewissheit der Liebe letztlich nichts anhaben kann und Alkmene hör- und spürbar bezeugt, dass sie in Jupiters Verkleidung doch immer nur den wahren Amphitryon-Kern lieben wird, geben sich Merkur und Jupiter resigniert zu erkennen. „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe!“, ist Jupiters kraftlose Erkenntnis, der sich dem Risiko ausgesetzt hat, die Beständigkeit der Liebe zu unterschätzen. Ermattet verspricht Jupiter Amphitryon und Alkmene dann noch mit dämonenhafter Stimme die Geburt des Herkules und schleicht von dannen.

Amphitryon - inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld
Amphitryon – inszeniert von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt. Bildquelle: Birgit Hupfeld

Zurück bleiben am Boden liegend die äußerlich und innerlich lädierten Ehepartner, an ihre jeweiligen echten Geliebten gelehnt. Sie haben viel erdulden müssen. Es waren erbitterte Kämpfe. Sie tragen viele Wunden davon. Und nachdem sie in den Transitröhren mehrere Male auf den Laufbändern regelrecht auf der Stelle getreten waren, befinden sie sich jetzt in der Mitte des unteren Durchganges. Alkmene erwacht kurz aus ihrer Ohnmacht und sinkt mit einem erschöpften, seltsam monotonen, vielleicht auch enttäuschten „Ach“ an die Seite ihres blutenden Ampitryons zurück. Ob sie nun endlich angekommen sind, ob sie sich in entgegengesetzte Durchgangsrichtungen gehend von einander entfernen oder eine gemeinsame Richtung einschlagen werden, lässt die Inszenierung offen. Man wünscht es ihnen. Aus vollem Herzen!

Heutige Liebes- und Identitäts-Anfeindungen, Liebesgeschenke ans Publikum

Man merkt, dass Kriegenburg die Alltäglichkeit seiner gebrochenen Helden und Außenseiter fasziniert. Die grau-schwanzen, eleganten Kostüme von Andrea Schaad unterstreichen das Regiekonzept der Verortung ins Alltägliche und zeigen heutige Wohlstands-Businessmänner und -frauen. Es sind dadurch Assoziationen zu heutigen Großkonzern-Mächtigen und deren Untergebenen möglich. Amphitryon ist ein Rollkoffer-Soldat und Jupiter ist als falscher Amphitryon agiler Geschäftsmann auf dem Beziehungs-Sprung. Aber das „Herunterbrechen“ ins Alltägliche verdrängt nicht die Schönheit und Erhabenheit von Kleists Sprache; auch nicht die Thematik des Stücks: die Fragilität des „Ich“, die manipulativen Anfeindung von höheren, selbsternannten „Mächtigen“ und die dadurch mögliche Gefährdung der Liebe – aber auch die Betonung ihrer Stärke! Die Aktualisierung der Inszenierung hat es nicht nötig, zeitgenössische Politiker-Doubles auf die Bühne zu hieven – die Assoziationen zu heutigen Despoten stellen sich somit gekonnt subtil ein. Dass das Schauspiel Frankfurt mit dieser demütigen Interpretation einen Liebe-bejahenden, mahnend-optimistischen Kommentar gibt, ist Autorintention und Publikum wertschätzend und mutig zugleich.

Kriegenburg meinte einmal in einem Interview, dass Kleists Stücke inszenatorisch wahre Monster seien, aber auch das Schönste, was man als Regisseur inszenieren kann. Seine Liebe zu einem seiner Lieblingsautoren hat er in Frankfurt bewiesen!

Sein „Ampitryon“ am Schauspiel Frankfurt ist das Schönste, was einem Zuschauer geschenkt werden kann! Meine tiefe dankbare Verbeugung dafür!

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2 KOMMENTARE

  1. Hallo,
    ich bin zwar noch nicht 59+, aber die Rezension des Stückes Amphitryon hat mir gut gefallen! Ich war vorgestern dort und mich hat insbesondere auch die schauspielerische Leistung des Ensembles, allen voran Patrycia Ziolkowska, beeindruckt. Allerdings fand ich manchmal die Balance von Humor und Tragik nicht ganz ausgewogen.
    Grete

    • Liebe Grete, vielen Dank und es freut uns sehr, wenn auch die Menschen die noch nicht 59plus sind interessante Beiträge bei uns finden. Wir geben das Kompliment zur Rezension gern an Mark Seebürger weiter – er wird sich freuen. Und wir freuen uns, wenn Sie uns auch weiterhin immer mal wieder hier bei 59plus besuchen, herzliche Grüße von der Redaktion

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