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Michael Thalheimer inszeniert Verdis Otello an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf.

Der Bann bricht erst ganz am Ende.

Otello hat Desdemona getötet, sich selbst mit Jagos Messer erstochen, der Bühnenraum versinkt erneut in tiefster Schwärze. Die Tragödie hat sich erfüllt, die letzte Note von Verdis Musik verklingt. Eigentlich müsste ergriffene Stille folgen. Doch das gebannte Düsseldorfer Opernpublikum kann sich nicht länger mit seinem Wunsch nach tosendem Applaus zurückhalten und macht sich seiner Begeisterung hörbar Luft noch bevor sich der Vorhang für die Applausordnung hebt.

Viele Bravos für Cassio (Orvidiu Purcel), Jago (Boris Statsenko), Desdemona (Jaquelyn Wagner) und Otello (Zoran Todorovich). Die wenigen unverständlichen Buhs für das künstlerische Team um Regisseur Michael Thalheimer hatten keine Chance gegen die vielfachen erneuten Bravorufe. Eine Inszenierung, die hörbar und spürbar trotz ihrer mutigkonsequenten Tragödien-Düsternis das Düsseldorfer Premierenpublikum zwar spaltete, aber keinesfalls langweilte.

Der Drang zum Szenenapplaus hatte sich schon vorher Bahn brechen können, nachdem Jaquelyn Wagner ihr zutiefst anrührendes Sterbesolo von der „Weide“ beendete. Auch hier war das Publikum hin und her gerissen zwischen andächtigem Schweigen und begeistertem Applaus. Letzteres setzte sich durch; zunächst verhalten, dann zum Bravo-Applaus ansteigend.

Faszinierende Düsternis der Otello Inszenierung

Verdis und Thalheimers Otello macht es einem nicht leicht. Es ist schwere Kost und tiefschwarze, pessimistische Tragödie. Lässt der Liebe zwischen Desdemona und Otello nicht den Hauch einer Chance – und ist dennoch musikalisch wie inszenatorisch so fesselnd, anrührend und beeindruckend.

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Mit einem musikalischen Donnerschlag springt Verdis Oper in die Tragödie hinein und verorten Thalheimers Regie und Henrik Ahrs pechschwarzes Bühne. Das Sinnbild der Ausweglosigkeit in einen kerkerartigen Raum, aus dem es nur schmale Türen als Abgang für die Sänger gibt. In dem es nur fahles Licht aus einer Deckenluke fällt, zu welcher Cassio, Desdemona und Otello in Einsamkeitsmomenten ihre sehnsüchtigen Blicke nach Freiheit und Ausweg senden. Hier gibt es kein Entkommen, die Düsternis dominiert über Licht und Hoffnungsschimmer.

Meisterhafte Atmosphäre

Stefan Bollingers meisterhaft-variierende Weißlichtregie schafft viele Raumverwandlungen und Konturveränderungen. Sie lässt die Sänger geisterhaft blass, zart-diffus und expressiv überblendet erscheinen. Desdemonas erster Auftritt erfolgt aus der hinteren Wand langsam aufhellend wie aus dem Nichts. Diese Atmosphäre ist zwar bedrückend, aber nicht ermüdend, sondern durchgängig spannend. Und spannungsgeladen! Erst als sich Otello mit Jagos gereichtem Messer ersticht, brechen die Konturen des Kerkers jäh auf und strahlendes Licht fällt durch die Spalte.

Es scheint, als ob der emotional wie mental zerrissene, in sich selbst gefangene Otello seinen eigenen körperlichen Kerker endlich aufgebrochen hätte. Doch mit dem sterbenden Otello versinkt auch alles und jeder wieder in einkerkernde Schwärze.

Musikalische tour de force, ausdrucksstarkes Spiel.

Verdis Musik treibt die Handlung und die Figuren unbarmherzig voran, lässt keinen Moment der Reflektierens und Eingreifens in den Fortgang von Jagos Intrige zu. Musikalischer Leiter Axel Korber und sein Orchester lassen Verdis Musik schwelgen, elegant schweben, furios aufschwingen und brutal jäh abstürzen. Sänger und Chor begeistern mit einem pointierten Repertoire zwischen Zartheit und expressivem Vibrato.

Das gestische Spiel der Sänger zeigt aufgetaute Aggression, Verzweiflung und Zerrissenheit, Resignation und behutsamen Trost. In der ersten Szene zwischen Otello und Desdemona sind die Gesten erfüllt von Zartheit und Ruhe. Doch plötzlich wird Otellos Umarmungsgeste an Desdemonas Hals zu einem Vorboten des späteren Erdrosselns Desdemonas. Ein blitzartiges erschreckendes Bild, das sich aber sofort wieder auflöst. Einer der vielen ausdrucksstarken Bildermomente, welche an die zum Tode verdammte Liebe von Otello und Desdemona erinnern lassen.

Bariton Boris Statsenko gibt seinem intrigierenden, hasserfüllten Jago größtenteils gebieterisch-ausladende Gesten. Bevor er plötzlich bei seinen Soli völlig ruhig stehend seine ganze zerstörerische, nihilistische Kraft ballt und sie mimisch und singend in einem furchteinflößenden Rache-Crescendo explodieren lässt. Bravorufe und Applaus des beeindruckten Publikums folgen.

Tenor Zoran Todorovich hat die schwere Aufgabe, Otellos Pessimismus, Brutalität und Destruktivität über weite Strecken durchhalten zu müssen. Aber trotz Verdis negativer Figurenzeichnung erschafft Todorovich das berührende Portrait eines Mitgefühl-verdienenden Außenseiters und Kriegers der inneren Kämpfe. Gepeinigt und mit retardierten Sich-selbst-Umarmungsgesten want er durch das Geschehen und ist sich selbst sein größter Feind und größte Bedrohung.

Assoziatives Schwarz der Bedrohung – Reines Weiß.

Das Bild eines ratlosen Kriegers zeigt sich auch in seiner theatralisch überhöhten schwarzen Schminke. Sie lässt an eine Sturmmaske denken, weil sie sein Gesicht, Mund- und Augenpartien nicht ganz ausfüllt.

Ein höchst dramatisches erstes Bild zeigt auch der Chor, der sich in der Eröffnungsszene bedrohlich langsam und Meeresgleich wankend der Rampe und Otellos Rückansicht nähert. Schwarz gefärbt oder mit Strumpfmasken ausstaffiert, während die Szenerie Otellos Bootsheimkehr nach Zypern auf stürmischer nächtlicher See darstellt und Blitze auf der Bühne und im Publikumssaal zucken.

Schrecken und Gewalt inszeniert Regisseur Thalheimer in Otellos erstem heftigem Schlag gegen Desdemona: die (Chor-)Gesellschaft und alle Bühnenakteure wenden sich erschrocken über Otellos jähen Gewaltausbruch ab. Sie legen Schutz suchend Arme und Hände an Ohren und Schultern und verharren lange in diesem Bild des eingefangenen, unübersehbaren Schreckens.

Nachdem Desdemonas weißes Taschentuch, welches Otello ihr als Beweis und Pfand seiner Liebe gab, auftaucht gerät es durch Jagos Intrige in falsche Hände. daraufhin betritt Desdemona die Szenerie und setzt zu ihrem Nachtgebet-“Weide“-Lied an. Sie trägt ihr weiß gleißendes Plüsch-Hochzeitskleid auf Händen und wird es während der Szene auch nicht anziehen, sondern legt es sanft zu Boden und bettet sich vorsichtig darauf zur Nacht. Der weiche, weiße Plüsch ist ein auffälliger Kontrast zur ansonsten harten, schwarzen Bühnenumgebung. Mit diesem Kleid wird Otello Desdemona auch erwürgen und so wird das weiße, reine Kleid  zu einer düsteren Metapher.

Otellos verdüsterte Sichtweise

Thalheimers Regie, Luc Joostens Dramaturgie, Ahrs Bühne, Bollingers Licht und Michaela Baths schwarze Kostüme schaffen ein Gesamtkunstwerk der äußerlichen und innerlichen Bedrohung. So sollen laut des im Programmheft abgedrucktem Interviews Otellos negative, verängstigte und verdüsterte Sichtweise widerspiegelt werden.

Die ganze Oper spiele im Kopf Otellos und thematisiere somit dessen verzerrte Realitätswahrnehmung und Paranoia. Eine äußerst interessante Auslegung, welche die bedrückende Atmosphäre des Bühnenraums und dessen aufgeladene Symbolik durchaus erklärt.

Wie leicht lässt man seine Liebe ins Wanken bringen? Wie schnell lässt man Eifersucht und Misstrauen seine Liebe vergiften? Was sind reale Bedrohungen und was irreale? Wie leicht lässt man Selbstkomplexe und Ängste die Kontrolle übernehmen? Wie weit nimmt man sich selbst an? Wie sehr muss man sich erst selbst lieben, um einen anderen lieben zu können? In „Otello“ werden genau diese elementaren Fragen thematisiert.

Diese mutige, kluge, konsequente, symbolische und auf vielen Ebene sinnliche und durchaus auch zärtliche Inszenierung wird sich sicherlich schnell herumsprechen. Anspruchsvolle und begeisterungsfähige Zuschauer sollten sie sich nicht entgehen lassen! Denn trotz Verdis/Thalheimers rigorosem Beharren der Chancenlosigkeit von Otellos/Desdemonas Liebe – die Liebe lebt!; in der feiernden und optimistischen Reaktion des Publikums!

Zum aktuellen Spielplan geht es hier.

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